No Shirt - No Service

22.07.23
No Shirt - No Service

Allerliebste Festivalgemeinde!

Die Klangtherapie nimmt Awareness-Arbeit ernst und versucht Solidarität gegenüber strukturell Benachteiligten zu leben. Dieses Jahr gehen wir gemeinsam einen kleinen Schritt vorwärts auf dem Weg zur Sensibilisierung bezüglich gesellschaftlicher Privilegien.

Deshalb: NO SHIRT – NO SERVICE für 4 Festival-Tage und nur an Bars (an denen sich Personen tendenziell unfreiwillig drängen).

Keine Sorge, gar nicht schlimm: Zieh dir einfach eben ein Shirt über - oder bedecke deine Nippel andersweitig (z.B. mit Bikini oder BH), wenn du an der Bar etwas kaufen möchtest!

Damit kannst du dann ganz easy peasy unangenehme Situationen für andere vermeiden.

Sommer ist heiß, Tanzen ist heißer aber wessen Schweiß am eigenen Körper klebt, will man ggf. dennoch selbst entscheiden.

NO SHIRT – NO SERVICE hat neben der Schweiß-Thematik noch andere nette Nebeneffekte, denn:

  • nackter Oberkörper ≠ nackter Oberkörper
  • weiblich gelesene nackte Brust = Risiko
  • männlich gelesene nackte Brust = hä? ganz normal? is halt warm hier

Denn so viel ist klar: Es gibt Unterschiede in der Wahrnehmung von nackten Oberkörpern. Das nennt man Sexismus und führt zur (strukturellen) Benachteiligung einer (nicht ganz kleinen) Personengruppe.

NO SHIRT – NO SERVICE auf dem Klangtherapie-Festival ist eine fabelhafte Gelegenheit, sich mit (u. a.) diesem gesellschaftlichen Problem auseinanderzusetzen.

Du kannst zum Beispiel selbst im Internet recherchieren (empfohlen!) und mit deinen Peers diskutieren.

Aus Kapazitätsgründen kann das Bar-Personal leider nicht auf entsprechende Diskussionen eingehen, aber du sollst mit deinen Bedenken auch nicht allein bleiben. Schau doch mal beim Awareness-Zelt vorbei! Dort kannst du dich mit Material eindecken oder auch die ein oder andere produktive Frage loswerden (nach dem du die Q&A gewissenhaft durchgearbeitet hast).

Techno – Liebe – Utopie bedeutet für uns als Festival auch, einem politischen (Persönlichkeits-) Bildungsanspruch gerecht zu werden. Wer andere Vorschläge hat, sich dem Sexismus-Thema zu nähern, immer her damit!

Auch wichtig: Dass es sich im ersten Moment ungerecht anfühlt, Privilegien aufgeben zu müssen ist ganz normal und die Auseinandersetzung lohnt sich. Selbst entscheiden zu können, wann man sich mit sozialer Ungerechtigkeit, Diskriminierung etc. auseinandersetzen möchte, ist übrigens auch ein Privileg!

NO SHIRT – NO SERVICE Q&A

"Männer oben ohne werden auch sexualisiert"

Die meisten Männer müssen...

  • KEINE Stigmatisierung (z.B. leicht zu haben zu sein, aufmerksamkeitsgeil)
  • KEINE unangenehmen Blick/Starren
  • KEINE Sprüche und Kommentare
  • KEINE Gefahr, Opfer von körperlichen Übergriffen zu werden (“damit muss sie rechnen, wenn sie so rumläuft”)
  • KEINE Gefahr, heimlich aufgezeichnet und auf Pornoseiten veröffentlicht zu werden (ist so auf explizit linken Festivals (Monis Rache & Fusion) passiert: Kameras in Duschen & Toiletten.

...fürchten.

Das steht im krassen Kontrast zu den Erfahrungen und Befürchtungen, die weiblich gelesene Personen machen oder haben müssen.

"Dieses Festival soll ein Freiraum für alle sein"

  • Wirkliche Freiheit gibt es nur dann, wenn sie auch für ALLE gilt und nicht nur für 50%

"Auf der Fusion gab es das auch - und es war eine Katastrophe"

  • Es stören sich immer einige wenige daran, wenn die gewohnten Privilegien eingeschränkt werden, sei es auch nur für 5 Minuten (vgl. Maskenpflicht). Diese Personen beschweren sich am lautesten, während der Teil, der die Maßnahmen versteht, akzeptiert, befürwortet und aus Solidarität einhält, ruhig bleibt.
  • Es ist ganz normal, dass sich das wie eine krasse Beschneidung der eigenen Freiheit anfühlt, wenn gewohnte Privilegien auch nur an einer kleinen Stelle und für kurze Zeit eingeschränkt werden.
  • Wird auf der Fusion und anderen Festivals seit Jahren durchgesetzt und funktioniert!

Ist #freethenipple nicht unser eigentliches Ziel?

  • JA! Aber erst in der Utopie möglich, auf die wir uns hier gemeinsam Schritt für Schritt hinarbeiten (weil s. oben)

"Frauen sollten sich emanzipieren, mutig für sich selbst einstehen und auch einfach oben ohne sein"

  • in der idealen Utopie ist das möglich, die Realität sieht anders aus.
  • Marginalisierte Gruppen können sich aus ihrer Position befreien, wenn sich die privilegierte Gruppe ihrer Privilegien bewusstwird und solidarisch zeigt.
  • V.a. aber sind unterdrückte Gruppen nicht selbst dafür verantwortlich, die Bildungs-und Aufklärungsarbeit zu leisten, die z.B. zu einer Normalisierung führen würde.

Normalisierung durch "einfach mutig machen":

  • Zu welchem Preis und auf wessen Kosten?! - Stichwort: Gefahren.

ACHJA und übrigens:

Mehr Content und Kontext zu z.B. raumfordernde Oberkörper, Männer (bzw. männlich gelesene Personen) im Bikini, Objektifizierung, Catcalling und Street Harassment und und und findest du hier.

Techno – Liebe – Utopie

Dein Awareness-Team <3

Falls du noch Fragen, Anmerkungen, oder in einfach in Kontakt mit unserem Awareness-Team treten möchtest, schreibe uns gerne eine E-Mail unter: awareness@klangtherapie-festival.de

Glossar

Privileg

Ein Privileg ist ein nicht zu 100% verdienter, unproportionaler Vorteil gegenüber anderen Personen(gruppen). Ein Privileg liegt vor, sobald Personen durch Gruppenzugehörigkeiten oder -zuschreibungen strukturelle Vorrechte und Vorteile haben, die nicht (komplett) durch eigene Leistung oder besondere Qualifizierung erworben wurden. Diese gesellschaftlich eingeräumten Handlungsmöglichkeiten werden im Umkehrschluss anderen verwehrt oder erschwert. Privilegien erzeugen somit immer auch Benachteiligung anderer. In der privilegierten Position gestalten Privilegierte die Norm und sind sich ihrer Privilegierung häufig nicht bewusst.

Gelesenes Geschlecht (weiblich/männlich gelesen werden)

Das gelesene Geschlecht ist das Geschlecht, dass andere Personen einem Menschen auf Grund seines Aussehens und seines Verhaltens zuschreiben. Demnach ist eine weiblich gelesene Person, eine Person die von anderen als Frau wahrgenommen bzw. gelesen wird. Jedoch bedeutet das nicht, dass diese Person sich auch weiblich fühlt oder als Frau identifiziert.

Sexismus

Sexismus bezeichnet verschiedene Formen der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres gelesenen Geschlechts. Der Begriff Sexismus steht außerdem für die zugrundeliegende Ideologie, welche Geschlechterrollen festschreibt und hierarchisiert. Die Erscheinungsformen von Sexismus sind kulturell und historisch bedingt. Sexismus zeigt sich insbesondere in der Marginalisierung von Frauen, transgender, nicht-binären und intergender Menschen.

Strukturelle Benachteiligung

Strukturelle Benachteiligungen sind Formen der Diskriminierung die durch ein Zusammenwirken von individueller, kultureller und institutioneller Ebene entstehen. Die individuelle Ebene von Diskriminierung umfasst diskriminierendes Sprechen und Handeln von Einzelpersonen. Die kulturelle Ebene von Diskriminierung besteht aus Wissen, Werten und Normen der jeweiligen Kultur. Die institutionelle Ebene von Diskriminierung wird durch diskriminierende Politiken und Gesetze wie auch Normen und Werte, die von Institutionen durchgesetzt werden, vermittelt.

Diese 3-Ebenen-Struktur ist über Jahrhunderte durch das Zusammenleben gewachsen. Sie geht in der Regel mit patriarchalen, homophoben, religiösen – oder wie auch immer gearteten und begründeten – Bräuchen und Traditionen einher. Strukturelle Diskriminierung ist nicht immer einfach zu erkennen. Bestehende und vertraute Strukturen werden häufig nicht hinterfragt und auch von den Betroffenen selber nicht als diskriminierend erkannt.

Patriarchale Bräuche und Traditionen

Lassen die Privilegierung einer einzelnen (männlichen) Gruppe bzw. die Schlechterstellung aller anderen als „normal“ und vorgegeben erscheinen. Z.B. bei Arbeitsteilung, Verteilung der Entscheidungsbefugnisse aber auch Städteplanung und überall anders auch.

Utopie

Eine Utopie wird als Entwurf einer möglichen, gewünschten, zukünftigen Lebensform oder Gesellschaftsordnung verstanden.

Sexuelle Objektifizierung

Sexuelle Objektifizierung ist die Reduktion von (insbesondere FLINTA*) Personen auf deren körperliche Merkmale – mit sexuellem Fokus. Dabei spielt es keine Rolle, was die betroffene Person wünscht, ob sie gerade z.B. sexuell angesehen oder zum Objekt sexueller Träumereien werden möchte. Die betroffene Person wird zum Objekt der Begierde bzw. zum Sexobjekt gemacht, der Subjektstatus wird aberkannt.

FLINTA*

FLINTA* ist eine Abkürzung/Akronym und steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtlich, nicht-binäre, transgender, agender Personen. Der Begriff umfasst damit alle, die von patriarchaler Benachteiligung und Diskriminierung betroffen sind – also alle nicht-cis-Männer.

Catcalling

Catcalling ist eine Form der sexuellen Belästigung, in der eine Person zum Objekt der Begierde gemacht wird. Catcalls kommen in vielen unterschiedlichen Formen vor, z.B. Hinterherrufen oder -pfeifen, aber auch Hupen, blöde Sprüche, Geräusche oder andere unerwünschte Äußerungen.

Street Harassment (Belästigung auf der Straße)

Catcalling ist eine Form der Belästigung auf der Straße. Street Harassment bezeichnet aber auch anderes grenzverletzendes Verhalten wie z.B. (geschlechtsspezifische) Beleidigungen, Hinterherlaufen, sehr Nahekommen, Anfassen, Fotos oder Videos ohne Zustimmung usw. Generell zählen jegliche Formen von unerwünschtem Verhalten, das von einer fremden Person in der Öffentlichkeit an jemanden gerichtet wird, als Belästigung.

Rape Culture (Vergewaltigungskultur)

Der Begriff Rape Culture steht für die systematische Sexualisierung von FLINTA* Personen, sowie die systematische sexualisierte Gewalt, sexuelle Belästigung und Vergewaltigung von FLINTA*Personen. Dazu gehören auch rape jokes, victim blaming (=“Opferbeschuldigung”) und die Normalisierung von slut-shaming, sexueller Belästigung, etc. in Filmen, in den Medien und im echten Leben. Dieses Verhalten gegenüber FLINTA* Personen kommt so häufig und teilweise publik vor, dass es als “normal” in unserer Gesellschaft wahrgenommen wird und auf Akzeptanz trifft, was wiederum zu Rape Culture beiträgt.

Consent bzw. Konsens

Nur JA!! heißt ja! Das heißt, ein “Vielleicht”, “Ich weiß nicht”, “eigentlich nicht” und Ähnliches sind keine aktiven Zustimmungen = NEIN. Zustimmung zu erfragen oder aktiv zu äußern kann sehr ungewohnt sein. Wir liegen oft daneben, wenn wir unreflektiert von uns auf andere schließen oder stillschweigend vermuten, was jemand (nicht) will. Daher gilt: Konsens ist aktive Zustimmung aller Beteiligten – non-verbal oder verbal. Die beteiligten Personen befinden sich in einem transparenten Prozess, um eine gemeinsame Lösung zu schaffen. Konsens ist eine Methode zur Reflektion und Kommunikation von persönlichen Bedürfnissen, Grenzen und Wünschen und von daher intim und sau sexy.

Othering

Othering (auf Deutsch: Anders-Machung) beschreibt den Prozess, in dem Menschen wegen bestimmter Merkmale als vermeintlich andersartig oder „fremd“ konstruiert und auf diese “Fremdheit” reduziert werden. Aufgrund einer angenommenen oder tatsächlichen Zugehörigkeit in Bezug auf „Rasse“, Religion, Kultur, usw., wird eine Gruppe konstruiert. Dieser Gruppe werden bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben, die wiederum auf das Individuum übertragen werden. Diese Zuschreibungen gehen mit einer Abwertung der vermeintlich „Anderen“ (oder auch Aufwertung: Exotismus) einher und dienen dazu die eigene Gruppe, das „Wir“ zu definieren, als Norm zu erklären und aufzuwerten.

Sexualisierung

Ganz allgemein bedeutet Sexualisierung, dass jemand in Beziehung zu Sexualität gesetzt wird. Also, dass die Sexualität und das gelesene Geschlecht bei einer Person in den Vordergrund gestellt und darauf reduziert wird. Sie werden als sexuelle Objekte wahrgenommen und behandelt.