mehr Content und Kontext zu No Shirt - No Service

23.07.23
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Kontext - Sarah Berger: Raumfordernde Oberkörper:

  • konkrete Alltagssituation: Oberkörperfrei in der Sonne liegen wird zur politischen Aktion für weiblich gelesene Personen, gewollt oder ungewollt

  • Wie viele und welche Personen räkeln sich, lesen, joggen im sommerlichen Park oberkörperfrei, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob sie ihr T-Shirt ausziehen können oder ob das als Problem wahrgenommen, angestarrt, anzüglich kommentiert, beleidigt oder sexualisiert wird?
    -> Die meisten Halbnackten im sommerlichen Park haben keine Angst vor Belästigung, Sanktionen oder Strafe. Ihr Oberkörper ist frei von Kleidung und im politischen Sinne vermeintlich frei von Bedeutung.

  • 3. Abs. 2 Grundgesetz: Männer und Frauen sind gleichberechtigt und der Staat ist in der Pflicht diese Gleichberechtigung durchzusetzen.

  • Prinzipiell ist Nacktheit im öffentlichen Raum nicht verboten, kann aber als sexuelle Handlung (§ 183 StGB) / Belästigung der Allgemeinheit (§118 OWiG) verstanden [willkürlich angewandt] und mit Bußgeld/Geldstrafe/Freiheitsentzug bestraft werden.

  • Feminisierte Personen erleben in fast allen Lebensphasen, dass ihre Brüste als phänomenologisches Organ nicht-konsensuell, fremdbestimmt objektifiziert und sexualisiert werden.

  • Biologische Körperbilder sollen im Allgemeinen die geschlechtliche Arbeitsteilung rechtfertigen.
    Die vermeintlich wissenschaftliche Andersmachung (Othering) feminisierter Körper setzt sich in die heutige Zeit fort, wenn ihre Oberkörper ausschließlich in der Potenzialität sexueller Erregbarkeit und maximal als Organ zur Fütterung von Säuglingen wahrgenommen werden, statt als Körper von Subjekten, die selbst entscheiden wann eine Freilegung dem sexuellen Spiel dienlich ist und wann nicht.
    -> Die seit der Aufklärung propagierte, rigide Zweiteilung des biologischen Geschlechts lässt sich nach heutigem Wissensstand nicht aufrechterhalten.

  • [Feminisierte] Oberkörper sind nicht von Natur aus sexy[er als eine maskulinisierte Brust], sie werden sexy gemacht auf Kosten von sowieso schon benachteiligten Personen.

  • Sexualisierung des weiblichen Oberkörpers als Mittel zur Disziplinierung?
    -> macht den öffentlichen Raum zum gefährlichen Ort
    -> Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit verweist die Betroffenen an ihren Platz (nach drinnen).
    -> quasi metaphorische Darstellung der Frage nach Teilhabe an Gesellschaft und Politik

  • Nicht der weiblich gelesene Oberkörper ist störend, aufreizend oder erregend, sondern der Blick, der auf ihn gerichtet ist, und der Freizeitanlagen, Parks und Schwimmbäder für feminisierte Personen zu gefährlichen Orten machen.

  • Eine Regelung wie sie in Göttingen getroffen wurde (Frauen oben ohne erlaubt, aber nur am Wochenende und nur als Test), billigt und zementiert eine Ungleichbehandlung feminisierter Personen aufgrund von Sexualisierung, Objektifizierung und Tabuisierung ihrer Körper.
    -> Anstatt mehr Freiheit erzeugt sie eine Verstärkung der Reglementierung weiblich gelesener Personen durch mehr Vorschriften. [Vorher hieß es nur “handelsübliche Badebekleidung”, jetzt ist es unter der Woche tatsächlich verboten.]

  • gratis selbst lesen

by the way: Männer im Bikini

Wenn ein Mann (z.B. um solidarischerweise besagte Nippel zu bedecken) Bikini trägt, heißt das nicht automatisch, dass er angebaggert oder sogar angefasst werden möchte. Auch nicht zum “Spaß” und auch nicht, falls er einen extra sexy Spitzen-BH trägt und noch nicht mal, wenn er sich ansonsten (z.B. in Bewegungen) besonders “weiblich” inszeniert.

Wie kann ich stattdessen darauf reagieren?

  • ganz normale Wertschätzung ausdrücken
  • Kompliment am liebsten nur für den Mut/Einfallsreichtum, anstatt für das Aussehen/Sexyness
  • oder einfach nicht reagieren. :) Es ist nämlich eigentlich ganz normal, und nur Kleidung, die wir traditionellerweise mit bestimmten Genderstereotypen verbinden. Um die eigenen Schubladen herauszufordern lohnt es sich, die Normalisierung zu üben.

Natürlich kann es aber auch immer Männer oder andere Personen geben, die sich wie oben angesprochen kleiden und verhalten und voll gerne angesprochen werden möchten. Das kann erfragt werden (consent), es ist aber eben nicht automatisch davon auszugehen!

by the way: Objektifizierung, Catcalling, toxische Männlichkeit und Street Harassment (Belästigung auf der Straße)

Taina Angeli und Richard Edmond Vargas:
Ein Kompliment ohne Consent (Zustimmung) ist Belästigung. Und der erste Schritt in Richtung Rape Culture, so von wegen: “I can look at you in a sexual way whether you like it or not.” (patriarchalischer Anspruch)

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Glossar

Privileg

Ein Privileg ist ein nicht zu 100% verdienter, unproportionaler Vorteil gegenüber anderen Personen(gruppen). Ein Privileg liegt vor, sobald Personen durch Gruppenzugehörigkeiten oder -zuschreibungen strukturelle Vorrechte und Vorteile haben, die nicht (komplett) durch eigene Leistung oder besondere Qualifizierung erworben wurden. Diese gesellschaftlich eingeräumten Handlungsmöglichkeiten werden im Umkehrschluss anderen verwehrt oder erschwert. Privilegien erzeugen somit immer auch Benachteiligung anderer. In der privilegierten Position gestalten Privilegierte die Norm und sind sich ihrer Privilegierung häufig nicht bewusst.

Gelesenes Geschlecht (weiblich/männlich gelesen werden)

Das gelesene Geschlecht ist das Geschlecht, dass andere Personen einem Menschen auf Grund seines Aussehens und seines Verhaltens zuschreiben. Demnach ist eine weiblich gelesene Person, eine Person die von anderen als Frau wahrgenommen bzw. gelesen wird. Jedoch bedeutet das nicht, dass diese Person sich auch weiblich fühlt oder als Frau identifiziert.

Sexismus

Sexismus bezeichnet verschiedene Formen der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres gelesenen Geschlechts. Der Begriff Sexismus steht außerdem für die zugrundeliegende Ideologie, welche Geschlechterrollen festschreibt und hierarchisiert. Die Erscheinungsformen von Sexismus sind kulturell und historisch bedingt. Sexismus zeigt sich insbesondere in der Marginalisierung von Frauen, transgender, nicht-binären und intergender Menschen.

Strukturelle Benachteiligung

Strukturelle Benachteiligungen sind Formen der Diskriminierung die durch ein Zusammenwirken von individueller, kultureller und institutioneller Ebene entstehen. Die individuelle Ebene von Diskriminierung umfasst diskriminierendes Sprechen und Handeln von Einzelpersonen. Die kulturelle Ebene von Diskriminierung besteht aus Wissen, Werten und Normen der jeweiligen Kultur. Die institutionelle Ebene von Diskriminierung wird durch diskriminierende Politiken und Gesetze wie auch Normen und Werte, die von Institutionen durchgesetzt werden, vermittelt.

Diese 3-Ebenen-Struktur ist über Jahrhunderte durch das Zusammenleben gewachsen. Sie geht in der Regel mit patriarchalen, homophoben, religiösen – oder wie auch immer gearteten und begründeten – Bräuchen und Traditionen einher. Strukturelle Diskriminierung ist nicht immer einfach zu erkennen. Bestehende und vertraute Strukturen werden häufig nicht hinterfragt und auch von den Betroffenen selber nicht als diskriminierend erkannt.

Patriarchale Bräuche und Traditionen

Lassen die Privilegierung einer einzelnen (männlichen) Gruppe bzw. die Schlechterstellung aller anderen als „normal“ und vorgegeben erscheinen. Z.B. bei Arbeitsteilung, Verteilung der Entscheidungsbefugnisse aber auch Städteplanung und überall anders auch.

Utopie

Eine Utopie wird als Entwurf einer möglichen, gewünschten, zukünftigen Lebensform oder Gesellschaftsordnung verstanden.

Sexuelle Objektifizierung

Sexuelle Objektifizierung ist die Reduktion von (insbesondere FLINTA*) Personen auf deren körperliche Merkmale – mit sexuellem Fokus. Dabei spielt es keine Rolle, was die betroffene Person wünscht, ob sie gerade z.B. sexuell angesehen oder zum Objekt sexueller Träumereien werden möchte. Die betroffene Person wird zum Objekt der Begierde bzw. zum Sexobjekt gemacht, der Subjektstatus wird aberkannt.

FLINTA*

FLINTA* ist eine Abkürzung/Akronym und steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtlich, nicht-binäre, transgender, agender Personen. Der Begriff umfasst damit alle, die von patriarchaler Benachteiligung und Diskriminierung betroffen sind – also alle nicht-cis-Männer.

Catcalling

Catcalling ist eine Form der sexuellen Belästigung, in der eine Person zum Objekt der Begierde gemacht wird. Catcalls kommen in vielen unterschiedlichen Formen vor, z.B. Hinterherrufen oder -pfeifen, aber auch Hupen, blöde Sprüche, Geräusche oder andere unerwünschte Äußerungen.

Street Harassment (Belästigung auf der Straße)

Catcalling ist eine Form der Belästigung auf der Straße. Street Harassment bezeichnet aber auch anderes grenzverletzendes Verhalten wie z.B. (geschlechtsspezifische) Beleidigungen, Hinterherlaufen, sehr Nahekommen, Anfassen, Fotos oder Videos ohne Zustimmung usw. Generell zählen jegliche Formen von unerwünschtem Verhalten, das von einer fremden Person in der Öffentlichkeit an jemanden gerichtet wird, als Belästigung.

Rape Culture (Vergewaltigungskultur)

Der Begriff Rape Culture steht für die systematische Sexualisierung von FLINTA* Personen, sowie die systematische sexualisierte Gewalt, sexuelle Belästigung und Vergewaltigung von FLINTA*Personen. Dazu gehören auch rape jokes, victim blaming (=“Opferbeschuldigung”) und die Normalisierung von slut-shaming, sexueller Belästigung, etc. in Filmen, in den Medien und im echten Leben. Dieses Verhalten gegenüber FLINTA* Personen kommt so häufig und teilweise publik vor, dass es als “normal” in unserer Gesellschaft wahrgenommen wird und auf Akzeptanz trifft, was wiederum zu Rape Culture beiträgt.

Consent bzw. Konsens

Nur JA!! heißt ja! Das heißt, ein “Vielleicht”, “Ich weiß nicht”, “eigentlich nicht” und Ähnliches sind keine aktiven Zustimmungen = NEIN. Zustimmung zu erfragen oder aktiv zu äußern kann sehr ungewohnt sein. Wir liegen oft daneben, wenn wir unreflektiert von uns auf andere schließen oder stillschweigend vermuten, was jemand (nicht) will. Daher gilt: Konsens ist aktive Zustimmung aller Beteiligten – non-verbal oder verbal. Die beteiligten Personen befinden sich in einem transparenten Prozess, um eine gemeinsame Lösung zu schaffen. Konsens ist eine Methode zur Reflektion und Kommunikation von persönlichen Bedürfnissen, Grenzen und Wünschen und von daher intim und sau sexy.

Othering

Othering (auf Deutsch: Anders-Machung) beschreibt den Prozess, in dem Menschen wegen bestimmter Merkmale als vermeintlich andersartig oder „fremd“ konstruiert und auf diese “Fremdheit” reduziert werden. Aufgrund einer angenommenen oder tatsächlichen Zugehörigkeit in Bezug auf „Rasse“, Religion, Kultur, usw., wird eine Gruppe konstruiert. Dieser Gruppe werden bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben, die wiederum auf das Individuum übertragen werden. Diese Zuschreibungen gehen mit einer Abwertung der vermeintlich „Anderen“ (oder auch Aufwertung: Exotismus) einher und dienen dazu die eigene Gruppe, das „Wir“ zu definieren, als Norm zu erklären und aufzuwerten.

Sexualisierung

Ganz allgemein bedeutet Sexualisierung, dass jemand in Beziehung zu Sexualität gesetzt wird. Also, dass die Sexualität und das gelesene Geschlecht bei einer Person in den Vordergrund gestellt und darauf reduziert wird. Sie werden als sexuelle Objekte wahrgenommen und behandelt.